Was macht „To Kill a Mockingbird“ (1962) zu Ihrem Lieblingsfilm?
Laura Bruce: Dieser Film hat mich in meiner Jugend beeindruckt, er war derjenige, der mir in den Sinn kam, als wir über das Projekt „Cinema Editions“ sprachen. Die Beziehung zwischen der burschikosen Tochter Scout und ihrem gebildeten Vater, einem Anwalt; das satte Schwarz-Weiß des 36-mm-Filmmaterials; die Atmosphäre der Verschwiegenheit, des Unheimlichen; diese Gegensätze von Schwarz und Weiß, Arm und Reich, Bildung und Unbildung, so charakteristisch für die USA, und das alles im Spiegel einer Kleinstadt. Zugleich ist es ein Film über das Erwachsenwerden. Scout, etwa 10 oder 11 Jahre alt (und damit ungefähr so alt wie ich damals), wird in die komplizierte Erwachsenenwelt hineingezogen, damit habe ich mich identifizieren können.
Das Bild, das ich für „Cinema Editions“ ausgewählt habe, ist eine Szene, die mich auch noch 40 Jahre nach der ersten Begegnung mit dem Film fesselt: Scout, als Schinken verkleidet, wird auf dem Rückweg von einer Halloween-Party im Wald zusammen mit ihrem Bruder von einem Weißen angegriffen, der wütend darüber ist, dass ihr Vater einen Schwarzen vor Gericht verteidigt, der (zu Unrecht) beschuldigt wird, eine weiße Frau vergewaltigt zu haben.
Wie „Scout“ sich als Schinken auf dem nächtlichen Waldboden wälzt, geblendet, mit nur einem kleinen Loch, um durchzuschauen, gleichzeitig durch das Kostüm geschützt ‒ diese Mischung aus cartoonhafter schwarzer Komödie und der ernsten Gefahr, von einem „unsichtbaren“ Gegner angegriffen zu werden ... und die Überraschung, wer sie letztlich rettet. All diese Gegensätze: low art/high art, lustig/ernst, arm/reich, gebildet/ungebildet usw., aber auch das Politische und seine Verflechtung mit dem Aspekt der Sicherheit bzw. Gefahr, mit Landschaft, Natur und Atmosphäre.
Was für eine Rolle spielen Filme, spielt vielleicht auch dieser Film als Inspirationsquelle für Ihr Werk?
Laura Bruce: In meiner Arbeit reagiere ich oft auf Bild- oder Filmquellen mit historischer Bedeutung und bringe sie in einen zeitgenössischen Kontext.
Über die Künstlerin
„With drawing, I like the feel, the sound, and the simplicity of soft graphite on paper“, hat Laura Bruce 2017 in einem Interview mit der Kunsthistorikerin Julia Rosenbaum gesagt. Zeichnungen standen am Anfang der künstlerischen Arbeit der US-Amerikanerin, die seit 1990 in Berlin lebt. Und zu diesem Medium ist die heute 60-Jährige nach einer langen Laufbahn in den Gattungen Malerei, Skulptur, Installation, Video und Performance inzwischen auch wieder zurückgekehrt.